Raus aus der Opferrolle - Verantwortung übernehmen

Ich höre in meiner therapeutischen Arbeit immer wieder mal Aussagen wie „Ich bin halt ein Pechvogel“, „bei mir geht immer alles schief“, „ich bin halt so erzogen worden“ oder auch „Der oder die … die Gesellschaft … das System … usw. macht es mir unmöglich, dass ich dies oder jenes schaffe … ist schuld an meinem Zustand …“.

Natürlich werden jedem von uns immer wieder mal Grenzen gesetzt, aus sozialen, gesellschaftlichen, finanziellen Gründen oder aufgrund meiner persönlichen Voraussetzungen (ich hätte zum Beispiel nie Stewardess werden können, weil ich die erforderliche Mindestgröße von 1,65 m nicht erreiche, auch Mathematik hätte ich nicht studieren können, weil mir einfach das Talent dafür fehlt).

Wir können es uns nicht aussuchen, in welche Familie wir hineingeboren werden, mit welchen Veranlagungen, auch nicht den Ort, das Land (wenn ich als Frau in Indien geboren worden wäre, sähe mein Leben ganz anders aus, oder in Syrien oder Afghanistan …).

Aber solange ich für alles, was schiefgeht, oder nicht so läuft, wie ich mir das wünsche, die Gründe im Äußeren suche, diesem oder jenem dafür die Schuld dafür gebe, bleibe ich in der Opferrolle verharren, und in dieser Rolle ist es mir unmöglich, etwas daran zu verändern.

Es gibt Umstände und Situationen, die ich nicht verändern kann, sei es, weil sie nicht veränderbar sind, oder weil der Preis dafür zu hoch wäre. Ich denke da beispielsweise an Menschen, die auf eine berufliche Weiterentwicklung verzichten, weil sie dafür die gewohnte, vertraute Umgebung, lieb gewordene Menschen verlassen müssten, oder auch nur deshalb, weil sie es sich nicht zutrauen, die Komfortzone zu verlassen. 

Aber das ist dann eine Entscheidung, die ich treffe, und es wäre gut, mir dies bewusst zu machen. Dazu eine kleine Übung: schreib auf einen Zettel unter der Überschrift „Ich muss …“ alles auf, was dir dazu einfällt. In einem zweiten Schritt ersetze das „Ich muss …“ durch „Ich entscheide mich …“. Du machst damit vielleicht die interessante Erfahrung, dass es gar nicht so viel gibt, was du wirklich „musst“, aber einiges, wofür du dich bewusst entscheidest, um nicht die Folgen tragen zu müssen („ich muss meine Buchhaltung machen“ – wird zu: „ich entscheide mich, meine Buchhaltung zu machen, weil ich keine Probleme mit dem Finanzamt kriegen will“).

Bei den Anonymen Alkoholikern wird jedes Meeting mit dem Gelassenheitsgebet begonnen: „Gib mir den die Kraft, zu akzeptieren, was ich nicht verändern kann, den Mut, zu verändern, was ich verändern kann, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden!“

Oder, wie es in der Managementberatung heißt: „love it, change it, or leave it!“

 

Das ist genau das, was ich meine, die Opferrolle verlassen und Verantwortung für mich, mein Handeln, mein Leben übernehmen. Es ist oft nicht ganz einfach, aber die Belohnung dafür ist ein höheres Maß an Selbstwirksamkeit, ein gestärktes Selbstbewusstsein und ein zufriedeneres Leben. 

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